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Deutsches Staatstheater Temeswar

Gespräch mit dem Spielleiter Volker Schmidt: ”Diese Komik, die die Menschen in ihrer Verlorenheit, in ihren Sorgen, in ihrer Schwere auch haben, das kann Tschechow sehr gut”

27. Oktober 2022

Volker Schmidt, geboren 1976 in Klosterneuburg - Österreich ist Autor, Schauspieler und Regisseur und lebt zurzeit in Wien. Volker absolvierte 1998 die Schauspielausbildung am Konservatorium der Stadt Wien. Volker Schmidt inszenierte unter anderem bei den Wiener Festwochen am Staatstheater Hannover in Darmstadt, am Schauspielhaus Wien, in Moskau und in Kopenhagen. Der erste Kontakt mit dem Deutschen Staatstheater Temeswar 2011 vermittelte er die Inszenierung seines Stückes Die Mountainbiker in der Regie Radu Nicas. 2015 arbeitete er erstmals als Regisseur und Bühnenbildner mit dem DSTT zusammen, wo er sein Stück Eigentlich schön auf die Bühne brachte. Seine Stücke wurden bisher in zehn Sprachen übersetzt und in zahlreichen Ländern aufgeführt.


Andrea Wolfer: Wie ist es denn für dich, erneut beim DSTT zu inszenieren? Wie ist die Stimmung im Theater allgemein?


Volker Schmidt: Also es ist sehr vertraut, wieder hier zu sein. Es ist jetzt schon das zweite Mal, dass ich hier inszeniere, aber mich verbindet schon eine längere Geschichte, auch mit dem Haus, auch als Autor. Heute waren wir auch auf der Bühne, da ist es sehr, sehr produktiv, sehr, sehr kollegial. Kollegiales, angenehmes Arbeiten.


Andrea Wolfer: Wieso Tschechow? Und wieso „Der Kirschgarten”?


Volker Schmidt: Also das war ja mein persönlicher Wunsch. Zum einen finde ich, dass Tschechow nach wie vor eine große Gültigkeit hat, weil er wie kein anderer fähig ist, den Menschen, ohne ihn zu verurteilen, in seiner ganzen Ambivalenz, zu zeigen. Und das mit einer Komik bzw. auch mit einer Tragik. Ich finde, dass man eigentlich mit einer Tragikomödie eigentlich das am besten beschreiben kann. Und das ist auch etwas, was mich selbst immer auch interessiert. Also egal, ob ich jetzt als Autor arbeite oder als Regisseur, finde ich die Gleichzeitigkeit von Tragik und Komik immer das, was unser Leben am besten beschreibt. Oder es ist auch eine Haltung zum Leben, die ich am interessantesten finde, weil man das Leben bei aller Schwere dann auch mit einer gewissen Leichtigkeit abgewinnen kann, eine gewisse Distanz auch, in dem man das Spielerische auch nicht vergisst. Und gerade diese Komik, die die Menschen in ihrer Verlorenheit, in ihren Sorgen, in ihrer Schwere auch haben, das kann Tschechow sehr gut. Man kann sich irgendwie selbst sehen und kann aber auch gleichzeitig über sich und sein schweres Schicksal lachen. Und das ist, finde ich, ein ganz wichtiges Element. Ich glaube, heute sind wir in einer Zeit, wo ganz viele Krisen oder Probleme auch dadurch auftreten, dass die Menschen in dem, was sie tun und wer sie sind, sich wahnsinnig ernst nehmen und nicht fähig sind, über sich selbst zu lachen, oft nicht fähig sind, das, was sie tun, von einer gewissen Distanz zu beobachten. Dann natürlich immer auch einen Feind brauchen, der eine andere Meinung hat oder eine anderen Nationalität ist, was auch immer, der dann schuld daran ist, dass man selbst nicht die Größe hat oder die Stärke, die man eigentlich hätte, wenn die anderen nicht wären. Und ich glaube, es ist das Wichtigste heutzutage zu lernen, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Und das ist etwas, was ein Tschechow sehr gut zeigen kann.


Andrea Wolfer: Du schlüpfst ja in diesen verschiedenen Rollen: Regisseur, Autor und Bühnenbildner. Wie beobachtest du als Theatermensch und persönlich Tschechows Welt aus dem Kirschgarten?


Volker Schmidt: In erster Linie betrachte ich sie immer schon von einem Standpunkt, vielleicht aus einem politischen Standpunkt, wo ich frage: Wo ist die Relevanz für die Gesellschaft? Natürlich gibt es künstlerische Aspekte, die ich sehr interessant und herausfordernd finde oder auch spannend. Aber für mich ist natürlich diese gesellschaftliche Relevanz vordergründig wichtig. Dann, was das Künstlerische betrifft, ist es eine gewisse Liebe, glaube ich, zu einer Art Nostalgie oder dass man sich halt auch immer mit einer Vergangenheit auseinandersetzt, die man noch mit sich rumschleppt. Und das hat man ja auch gerade beim Kirschgarten, wo es da eine Vergangenheit gibt, die nicht aufgearbeitet wurde, die sich noch zeigt. Und das ist natürlich auch für mich als Bühnenbildner sehr interessant, diese verschiedenen Schichten der Vergangenheit auch auf die Bühne zu bringen. Wie die eben hineinwirken in den Raum, aber auch in die Menschen. Und das fängt natürlich vom Raum an bis hin zu den Kostümen, Requisiten und so weiter. Und diese verschiedenen Schichten der Zeiten einfach darstellen und dann aber auch sagen: okay, woraus kann dann das Neue, das Zukünftige erwachsen?


Andrea Wolfer: Und wie verwirklicht sich dein Regiekonzept konkret mit den verschiedenen DarstellerInnen des Ensembles? Wie verläuft der Probenprozess?


Volker Schmidt: Also wir kommen sehr gut voran. Dadurch, dass wir nur sechs Wochen Probezeit haben, habe ich die DarstellerInnen gebeten, dass sie den Text schon vorher lernen. Diesen Text zu lesen ist ganz was anderes, als ihn dann auf der Bühne zu sehen. Man muss schauen wer jetzt gerade auf der Bühne ist, was wird gerade wo mit wem verhandelt. Es ist ein ziemlich großes Personal, zwölf Personen, die ständig auf und abtreten. Und für mich ist es immer so, dass ich gemerkt habe, ich versuche mich vorzubereiten, aber eigentlich schaffe ich es erst auf der Bühne, die Gedanken, wie ich das umsetzen will, überhaupt zu formulieren in der Arbeit mit den SchauspielerInnen. Und das ist halt schön, weil sie mich jetzt auch schon kennen. Und dann gibt es natürlich auch ein Vertrauen und eine Geduld, dass man das gemeinsam macht. Und eigentlich kommen wir dadurch auch sehr, sehr rasch voran. Und ich glaube, es ist auch besser, als wenn wir das alles zuerst mal in der Theorie auseinandergenommen hätten.


Andrea Wolfer: Ja, genau das wollte ich auch noch nachfragen, ob es dem Probenprozess weiterhilft, dass ihr euch schon einigermaßen bekannt seid. Also du und ein Teil des Ensembles, du mit der Bühnenbildnerin Ioana Popescu. Wie ist das jetzt mit einem zum Teil schon familiären Ensemble und mit einem familiären Haus wieder zusammenzuarbeiten?


Volker Schmidt: Ja, Ioana Popescu macht auch die Kostüme und unterstützt mich auch bei der Bühne. Und das ist immer, immer komplett was anderes, wenn man schon die beteiligten KünstlerInnen kennt. Man kann einfach ganz woanders ansetzen und du, wie du sagst, schon einen Großteil kennst. Von den SchauspielerInnen sind einige dazugekommen, einige sind neu im Ensemble. Neuzugänge, die sich auch super hinein integrieren in die Gruppe und es ist ein sehr familiäres Ensemble, finde ich. Und deswegen ist man auch ein Teil der Familie. Und da kann man auch mal - man muss sich das beweisen, man muss aber nicht immer - ratlos sein, man kann gemeinsam eine Lösung suchen. Dadurch kommt man, glaube ich, schon auch zu einem anderen Ergebnis, als wenn man die Menschen so gar nicht kennt.


Andrea Wolfer: Du meintest auch das Aufeinandertreffen von Welten. Was kann sich denn das Publikum vorstellen - ohne dass wir jetzt wichtige Insights der Produktion kurz vor der Premiere sagen - was soll das das Publikum generell erwarten?


Volker Schmidt: Also man muss das Stück ja nicht zwingend in Russland verorten. Und es gibt natürlich Bezüge, die mich interessieren, und das sind ja dann in diesem Fall auch Bezüge nach Rumänien. Und es betrifft aber, glaube ich, viele Länder des Ostens, dass einfach viele junge Menschen auch in den Westen aufgebrochen sind, um dort ein neues Lebensglück zu versuchen. Und wir haben, ich habe mich dann auch sehr bald entschlossen, aus Paris, wohin ja Ranjewskaja mit ihren Freundinnen und mit ihrem damaligen Lebensgefährten oder Mann verschwindet, Berlin zu machen, weil das so die Hauptstadt der Nullerjahre war, wo eigentlich alle hingegangen sind und ihr Glück versucht haben. Ich versuche da ein bisschen auch diese Partyszene, die sich da etabliert hat, widerzuspiegeln, auch in den Kostümen. Und einfach diese Rückkehr dann auch, wenn man von dort zurückkehrt und merkt, dass hier alles anders ist. Und das ist, glaube ich, ein Aspekt, den schon viele betreffen, die dann auch vielleicht viele kennen. Andererseits gilt dieses Fortziehen von Zuhause. Und dann kommt man nach Hause zurück und kehrt vielleicht auch in ein Haus zurück, was aus einer anderen Zeit auch noch etwas da ist. Wenn man sagt: okay, die waren da ein paar Jahre weg und man kann da einfach nicht mehr andocken. Es herrschen somit auch andere Gesetzmäßigkeiten. Und das ist so ein Aspekt, den ich einfach auch versuche, da hineinfließen zu lassen und gleichzeitig aber dann auch überregional eine Generation zeigen will, die einfach sehr unpolitisch war. Ich meine damit meine eigene Generation. Und das ist so ein Thema, das mir sehr wichtig ist, denn eigentlich ist Ranjewskaja eigentlich in meinem Alter circa.


Wir haben so in den 90er und Nullerjahren uns gedacht: Ja, Ende der Geschichte. Eigentlich gibt es gar nichts mehr zu tun und man ist sehr unpolitisch gewesen. Man hat sich um sich selbst, man ist um sich selbst gekreist und nur geschaut, wie es einem geht. Und es waren sehr hedonistische Zeitalter und auch viel mit Drogen usw., und Selbsterfahrung und Yoga, bla usw. und ja, jetzt haben wir eine ganz andere junge Generation, die hochpolitisch ist, die eigentlich vor der größten Katastrophe der Menschheit, der Klimakrise, steht. Und dann sind die anderen Krisen dazu gekommen. Es hat eine wahnsinnige Veränderung stattgefunden und das ist auch eine Sache, die sich in dem Stück ganz schön widerspiegelt. Weil es ja die Figur des Trofimov gibt, der eigentlich davon die ganze Zeit spricht, was alles zu tun ist, was zu tun ist, was in unserer Welt nicht passt, er es aber selbst trotzdem nicht schafft, da einen Schritt zu machen. Also ich würde ihn so zwischen diesen beiden Generationen einschätzen . Und das ist auch schon eine Sache, die da hineinspielt. Dann auch die, dass einfach ein ganz anderer Umgang mit Gender, das ist einfach eine große Entwicklung gegeben hat, dass da eine Offenheit, das eigentlich verschiedene Gender sozusagen in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen sind. Aber wenn man dann sozusagen aufs Land kommt, dann ist es natürlich wieder ganz was anderes als in dem urbanen Umfeld und wie das hier aufeinander trifft. Dieses Selbstverständnis der urbanen Menschen zu dem, was es auf dem Land einfach so nicht gibt.


Andre Wolfer: Du thematisierst die Politik, die Gendernormen. Du thematisierst in deiner Aufführung aber auch das Geld und die Wichtigkeit des Geldes. Kannst du uns ein bisschen über die Rolle des Geldes in deinem Kirschgarten sagen?


Volker Schmidt: Ja, also eigentlich in dem Kirschgarten reden Sie eigentlich fast die ganze Zeit nur von Geld. Es geht die ganze Zeit nur ums Geld. Und das hat natürlich auch damit zu tun, dass es nicht vorhanden ist. Und die einen sagen: ich brauche es nicht und habe es nicht, und die anderen: ich brauche es und habe es nicht. Der andere sagt: Ich habe es und will noch mehr haben. Man sieht, dass da einfach so eine Schwere aufgeht und das ist etwas, was wir die ganze Zeit erleben. Und ich glaube, dass Geld immer da eine Rolle spielt, wo es einfach eine große Ungleichheit gibt. Und das Interessante beim „Kirschgarten” ist ja, dass diese Ungleichheit sich umkehrt, weil ja der Lopachin, der ja ursprünglich ein Bauernsohn ist und sich aus eigenem Antrieb hochgearbeitet hat, jetzt viel mehr Geld als die hat, die früher das Geld hatten. Das ist heutzutage, glaube ich, in der Form nicht mehr so die Realität. Wir erleben schon, dass die Menschen, die viel Geld haben, immer reicher werden und die, die wenig Geld haben, immer ärmer. Also dieses Hocharbeiten, dieses wird immer schwieriger.


Das war eine Idee, die im Westen funktioniert hat, ab den 50er Jahren, wo man es wirklich geschafft hat, aus nichts einen Wohlstand zu konsolidieren. Und das hat bis in die 90er Nullerjahre vielleicht noch funktioniert. Und heute weiß jeder junge Mensch, es funktioniert nicht mehr. Entweder erbst du und hast Geld. Aber dieses Hocharbeiten, das funktioniert eigentlich kaum mehr. Also, entweder wird man sozusagen wohlhabend geboren oder nicht. Und dieser Aspekt, der hat sich schon ein bisschen verändert. Aber dass in einer Zeit der Krise alle natürlich auch vom Geld reden, das kennen wir ja auch. Da kommt noch mal eine Förderung und hier nochmal ein Zuschuss. Und so weiter. Und das hat mit Korona angefangen, und das geht jetzt weiter. Und natürlich begibt man sich da immer mehr in Abhängigkeit, anstatt einfach auch zu versuchen: wie kann ich denn von den Geld Kreisläufen möglichst unabhängig werden und wieder einen produzieren und wirtschaften, dass man auch kleinere Kreisläufe schafft, auch kleinere ökonomische Kreisläufe, dass man auch nicht zu abhängig ist von dem großen Geldkreislauf.


Andrea Wolfer: Ja, genau. Also ich finde das, was du bisher erläutert hast zu deinem Regiekonzept und generell zu deinem Konzept und deiner Vision als Theatermensch, als auch als Individuum, das scheint sich als eine sehr dynamische Aufführung zu verwirklichen. Was sind deine Highlights? Vorläufig. Ob du jetzt irgendwelche Lieblingsmomente hast? Welche sind die Momente, wo du sagst: ja, das ist ein Hingucker. Und ja, da sollte das Publikum kommen, weil es die und die Erfahrung haben wird.


Volker Schmidt: Oh, das finde ich ganz schwierig, weil wenn ich dann von diesen Momenten sprechen, da lasse ich das Publikum lieber, die eigenen Lieblingsmomente zu entdecken, weil ich versuche, das schon so zu streuen, dass es was gibt. Aber was mich schon interessiert, sind einfach Atmosphären zu kreieren. Was mit Tschechow natürlich auch gut funktioniert. Es ist schon ein sehr atmosphärischer Autor, aber trotzdem auch eine große Bandbreite von Dynamik, wie du sagst, aber auch von Leerstellen zu schaffen. Gerade Dynamik finde ich total interessant oder wichtig, weil Komödie per se eigentlich immer eine hohe Dynamik hat. Und Tschechow kennt man aber eigentlich eher als Autor, der oft sehr langsam lethargisch dargestellt wird. Und gerade dieser Konflikt ist das Spannende. Ich glaube, man kann viel Spaß haben. Es wird ein komischer Abend an manchen Stellen und man kann sich aber auch gewissen Bildern hingeben. Und man kann vielleicht auch die eine oder andere Showeinlage erleben. Das könnte ich, glaube ich, schon verraten.

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